Polen und Deutschland im modernen Europa
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Workshop: Kulturelle Turns, Übersetzungen und Vergleiche, 28.-30. September 2015 in Darmstadt


Methodenworkshop des Promotionskollegs von 28.-30. September 2015 in Darmstadt

Der Dynamik der Kulturwissenschaften und dem Vergleich als Methode: diesen beiden Themenfeldern war der diesjährige Methodenworkshop des deutsch-polnischen Promotionskollegs „Polen und Deutschland im modernen Europa“ gewidmet. Vom 28. bis 30. September trafen sich sieben Kollegiat_innen und drei Professoren aus Wrocław und München auf der Darmstädter Mathildenhöhe, wohin das Deutsche-Polen-Institut, das als Projektpartner an dem Promotionskolleg beteiligt ist, als Organisator des diesjährigen Seminars eingeladen hatte. Gefördert wurde das alljährliche und für die Arbeit des binationalen Kollegs essentielle Zusammentreffen von der gemeinnützigen FAZIT-Stiftung.
Auf dem Programm standen neben Kurzberichten aus den jeweiligen Dissertationsprojekten, Diskussionen und Methodenlektüre ein Vortrag von Dr. Doris Bachmann-Medick (Universität Gießen) sowie eine Exkursion. Die methodische Reflexion stand im Vordergrund, aber auch für inhaltliche und wissenschaftspolitische Fragen gab es Raum. So kann als Ertrag neben der Vertiefung der Zusammenarbeit und der Weiterentwicklung des Kollegs vor allem eine bessere Verortung der Erforschung deutsch-polnischer Beziehungen innerhalb der Kulturwissenschaften festgehalten werden.

Nach Begrüßungsworten von Institutsleiter Prof. Dr. Dieter Bingen und den jeweiligen Sprechern des Kollegs Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz und Prof. Dr. Guido Hausmann eröffnete Dr. habil. Peter-Oliver Loew am Montagnachmittag die Diskussion über die Kurzberichte aus den Projekten der Kollegiat_innen. Dabei wurde die Vielfalt der Zugänge ebenso sichtbar wie die unterschiedlichen Stadien der jeweiligen Arbeiten. In der besonderen Konstellation, in der mit Prof. Ireneusz Karolewski (Wrocław) und den bereits Genannten Geschichts-, Politik- und Kulturwissenschaften vertreten waren, bildete dies jedoch durch je konstruktive anschließende Diskussionen den gelungenen Auftakt in die Tagung.

Piotr Solga (Wrocław) stellte die Konzeption und Gliederung seiner im finalen Schreibprozess befindlichen politikwissenschaftlichen Arbeit über „Soziopolitische Kontexte der erneuerbaren Energiequellen in der Wojewodschaft Opole“ vor. Lukas Becht (München) präsentierte den Stand seiner politik- und kulturwissenschaftlichen Forschungsarbeit zu den Zeithorizonten der postsozialistischen Transformation und gab unter dem Titel „Transformation der Zukunft“ einen Einblick in die Reaktion der polnischen Futurologie auf die Umbrüche von 1989. Milena Migut (Wrocław) zeigte den Aufbau und Ergebnisse ihrer fast abgeschlossenen Arbeit zur Darstellung der so genannten „Gerechten unter den Völkern“, Judenretter_innen während des 2. Weltkrieges, in polnischen und deutschen Schulbüchern.

Ein bereicherndes Novum war die Teilnahme von so genannten „assoziierten“ Kollegiatinnen: Anna Baumgartner (München) stellte ihre Arbeit über den Orientalismus, das Abenteuer und die Exotik in der Malerei Józef Brandts vor. Ebenfalls einen Einblick in ihre Forschungen zum Protestantismus im Polen der Zwischenkriegszeit und der Frage der Loyalität gab Pascale Mannert (München). Die Vorstellung erster Ergebnisse aus der Arbeit Jakub Sawickis (München) über Esskulturen in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen zwischen 1965 und 1975 im Vergleich gab dagegen einen interessanten Einblick in die Regulierungspraxis der deutschen und polnischen Ernährungswissenschaften, während abschließend Jerzy Sporek (Wrocław) den Stand seiner Forschungen zum Gefallenenkult in Schlesien in den Jahren 1813-1945 und seiner Reflexionen in der Landschaft besprach.

Damit gab es eine Reihe von Anknüpfungspunkten für den am nächsten Vormittag folgenden Vortrag von Frau Bachmann-Medick zum Thema „Cultural Turns – zur Dynamik der Kulturwissenschaften“ und die anschließende Diskussion. Die zentrale These Bachmann-Medicks, nach der das Übersetzen und seine Reflexion statt der Integration das Erkenntnisinteresse und die Dynamik der Kulturwissenschaften ausmachten, wurde aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Gefragt wurde, inwiefern das am Vortag praktizierte interdisziplinäre Übersetzen von Forschungsperspektiven dem kulturwissenschaftlichen Selbstverständnis als Translations- statt Orientierungs- bzw. Integrationswissenschaft angemessen ist. Eine andere Form von Erkenntnisgewinn und Empirieorientierung als der traditionelle Theoriefortschritt sei damit verbunden.

Besonders interessant erwies sich in der Diskussion die Frage nach dem Selbstverständnis und den konzeptuellen Besonderheiten einer in diesem Sinne kulturwissenschaftlichen Forschung im Bereich der deutsch-polnischen Beziehungen. Einerseits wurde hier die nötige Übersetzungsarbeit zwischen Forschungserkenntnissen und außeruniversitären Diskursen genannt. Angesichts der Feststellung, dass diese an den Universitäten selten reflektiert und innovativ gestaltet wird erwiesen sich das DPI, das diese Vermittlungsarbeit verkörpert, und Frau Bachmann-Medick als interessante Impulsgeber auch für die weitere Profilierung des Promotionskollegs.

Andererseits wurde festgehalten, dass es einer Aktualisierung der von Klaus Zernack (1991) unter dem Begriff der „Beziehungsgeschichte“ unternommenen Bestandsaufnahme und Strukturierung der Forschungen im deutsch-polnischen Kontext bedarf. Dann wäre es möglich, sich über Konzepte zu verständigen, die aus dem Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen in andere Forschungsbereiche mit Gewinn übersetzbar sind. Dies ansatzweise zu sondieren, erschien so als Potenzial des Kollegs. Dementsprechend wurde am abschließenden Mittwochvormittag mit einer Diskussion und Textarbeit zum Vergleich als Methode die Frage diskutiert, wie dieser im Verhältnis zu Verflechtungs- und Transfergeschichte steht. Gerade die deutsch-polnische Beziehungsforschung kann, so das Fazit der Diskussion, einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Dazu sei eine Historisierung, Systematisierung und Kritik der bisherigen Vergleichs- und Transferforschung im deutsch-polnischen Kontext angebracht.
Gelegenheit zur Vertiefung dieser Diskussionen, aber auch zu Gesprächen untereinander und über die einzelnen Projekte bot eine Exkursion nach Zwingenberg an der hessischen Bergstraße, wenige Kilometer südlich von Darmstadt. Die Wanderung zum Auerbacher Schloss und der Blick über die Rheinebene bis zur Pfalz waren bei strahlendem Sonnenschein eine gelungene Erweiterung des wissenschaftlichen Programms. Dies galt gleichermaßen für die abendliche Einkehr.

Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt dank der Kooperation mit dem Deutschen Polen-Institut erwies sich der Workshop als gelungene Verbindung persönlichen Austauschs mit inhaltlichen und methodischen Diskussionen. Dass trotz der langfristig weiterhin unsicheren Finanzierungsperspektive das Selbstverständnis des Promotionskollegs als Institution der Erforschung der deutsch-polnischen Beziehungen mehrfach thematisiert werden konnte, ist sowohl auf die kollegiale Atmosphäre, das methodenorientierte Format des Treffens und den Veranstaltungsort zurückzuführen. So kann als Ertrag schließlich neben der Vertiefung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit im Rahmen des Kollegs vor allem eine genauere Verortung des Forschungsfeldes der deutsch-polnischen Beziehungen innerhalb der Kulturwissenschaften festgehalten werden: Ein eigenständiger Beitrag der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte zur Verbindung und Abgrenzung von Perspektiven wie dem Vergleich, der Verflechtung und Übersetzung erscheint möglich. Diesen Anspruch, so lässt sich abschließend sagen, versuchen die jeweiligen Dissertationsprojekte, die von der kollegialen Atmosphäre des Workshops profitierten, mehr oder weniger explizit umzusetzen.

Bericht: Lukas Becht


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