Polen und Deutschland im modernen Europa
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Workshop: Politischer Totenkult im modernen Europa, 23.-26. Oktober 2014 in München

Lebhafter Austausch zum Thema "Politischer Totenkult im modernen Europa"

Workshop des deutsch-polnischen Promotionskollegs „Polen und Deutschland im modernen Europa“ vom 23. bis 26. Oktober 2014 in München

foto 15Der jährlich stattfindende gemeinsame Workshop der Promovierenden des deutsch-polnischen Promotionskollegs „Polen und Deutschland im modernen Europa“ der Ludwig Maximilians-Universität München und des Willy Brandt Zentrums der Universität Wrocław in Kooperation mit dem Deutschen Polen- Institut in Darmstadt stand in diesem Jahr unter dem Oberthema „Politischer Totenkult“. An drei intensiven Tagen diskutierten die Promovierenden der LMU München mit den Gästen aus Wrocław und externen Referenten über dieses Thema. Darüber hinaus diente das Zusammentreffen dem persönlichen und akademischen Austausch über die jeweiligen Promotionsprojekte. Es bot Gelegenheit, sich über die Ausgestaltung und Perspektiven des im deutsch-polnischen Kontext einzigartigen Promotionskollegs zu verständigen. Und schließlich wurde der Workshop durch eine Reihe von Kooperationen bereichert: Der Workshop wurde im Historischen Kolleg in München eröffnet und fand seinen Abschluss im Rahmen einer Konferenz des Generalkonsulats der Republik Polen. Sowohl das Deutsche Polen-Institut als auch die Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien der LMU München und der Universität Regensburg waren an der dreitägigen Veranstaltung beteiligt.

foto 2Nach Grußworten des Konsuls der Republik Polen Dr. Aleksander Korybut-Woroniecki (München), Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz (Willy Brandt Zentrum der Universität Wrocław) und Prof. Dr. Guido Hausmann (LMU München) eröffnete Prof. Dr. Manfred Hettling (Universität Halle-Wittenberg) mit einem Vortrag zum politischen Totenkult in Deutschland die inhaltliche Arbeit im Gartensaal des Historischen Kollegs. Wie geben moderne Gesellschaften dem Tod, den ihre Mitglieder in gewaltsamen Auseinandersetzungen finden, Sinn? Wie gehen sie (erinnerungs-) politisch damit um? Dazu zeigte Hettling auf, wie mehrdimensionale Zeichen und Bilder, rituelle Praktiken und politische Deutungen des Sterbens sich zu einem „politischen Totenkult“ verdichten, der die Funktion hat, Gefallene als Teil eines die Einzelnen überdauernden sozialen Kollektivs zu erinnern. foto 4Mit einer historischen Typologie, anschaulichen Beispielen aus dem deutschen Kontext und einem Ausblick auf Tendenzen der Forschung gelang es Hettling, die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit und die methodische Reichweite des Themas zu verdeutlichen. Dies wurde mit einer Diskussion von einschlägigen Grundlagentexten noch vertieft, bevor ein gemeinsames Abendessen den ersten Tag beschloss.

foto 7Den Anspruch auf Interdisziplinarität und aktuelle politische Brisanz des Forschungsproblems „politischer Totenkult“ lösten die weiteren Vorträge am zweiten Tag des Workshops ebenfalls ein: PD Dr. Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte München) hob am Beispiel der Bilder und Denkmäler für Albert Leo Schlageter zwischen 1923 und 1945 die Funktion von Bildern bei der Inszenierungen politischer Totenkulte hervor. Nach dieser ikonographischen Perspektive warf Dr. Andreas Lawaty (Universität Hamburg) einen ideengeschichtlichen Blick auf Denkfiguren politischer Theologie im Kontext des politischen Totenkults in Polen. An beiden Vorträgen und denjeweiligen Diskussionen wurde die enge Verflechtung deutscher und polnischer Geschichte ebenso deutlich wie die aktuelle politische Virulenz des Themas.

foto 10Im Anschluss bot sich Gelegenheit zur gegenseitigen Vorstellung und Diskussion von Dissertationsprojekten aus dem Kreis der Kollegiatinnen und Kollegiaten. Den Anfang machte Jerzy Sporek mit einem Vortrag über den Gefallenenkult in Schlesien und seine Formen. Er zeigte anschaulich die Erinnerungslandschaften des mehrmals seine staatliche Zugehörigkeit wechselnden Gebietes auf – und machte dabei plausibel, wie stark die pflanzliche Umgebung von Denk- und Mahnmälern die Erinnerung mitprägt. Milena Migut referierte über Denkmäler der polnischen Judenretter um von dort den Bogen zur Repräsentation von „Gerechten unter den Völkern“ aus Polen und Deutschland in Schulbüchern zu schlagen. Nicht pädagogisch, sondern politisch thematisierte daraufhin Piotr Solga den Streit um die Denkmäler auf dem Gebiet des Oppelner Schlesien. Dieses erste Panel beschloss Lukas Becht mit einer Problematisierung der Zeithorizonte, die im Zuge der Transformation Polens für bestimmte demokratische Reformen politische Handlungsspielräume eröffneten.

foto 13Im zweiten Panel der Promovierenden am Folgetag lag der Schwerpunkt auf der Nachkriegszeit in der Volksrepublik Polen und den beiden deutschen Staaten. Jakub Sawicki präsentierte Ansätze zu einem Vergleich der Esskulturen der drei Länder im Zeitraum 1965 bis 1975. Mateusz Matuszyk erörterte anschließend die Forschungsprobleme seiner Studie über die Landsmannschaft Schlesien zwischen 1945 und 1957. In der Gesamtschau wurde die Vielfalt und Komplexität der Themen sichtbar, die im deutsch-polnischen Forschungskontext einer Bearbeitung bedürfen. Aufgrund der Tatsache, dass die unterschiedlichen Projekte sich in je unterschiedlichen Stadien befinden, wurde überdies die Möglichkeit intensiv genutzt, Erfahrungen auszutauschen und methodisch-konzeptionelle Fragen zu diskutieren.

foto 17Integraler Bestandteil des Workshops waren schließlich Programmelemente, die über die Promotionsprojekte und das Leitthema hinauswiesen. So wurde der zweite Tag durch eine Buchvorstellung inklusive Autorengespräch von und mit Peter-Oliver Loew abgerundet. Als stellvertretender Direktor des Deutschen Polen-Instituts, das als Kooperationspartner des Kollegs fungiert, präsentierte er seine gerade erschienene „Geschichte der Polen in Deutschland“ (München: C.H. Beck 2014). Vor allem der implikationsreiche Titel „Wir Unsichtbaren“ gab Anlass zur Diskussion.

foto 16Auch im Kontext der am Folgetag anberaumten Diskussion über die zukünftige Arbeit und Perspektiven des Promotionskollegs standen Fragen der (Un-)Sichtbarkeit auf der Tagesordnung. Eine intensivere Vernetzung und ein von nun an kontinuierlicher Austausch zwischen den Mitgliedern des Kollegs auf polnischer wie deutscher Seite sowie das Bestreben nach einem gemeinsamen Auftreten nach außen, z.B. im Rahmen einer internationalen Konferenz konnten hier unter anderem beschlossen werden. Dies soll dazu beitragen, die im deutsch-polnischen Forschungskontext einzigartige Struktur dieses binationalen und interdisziplinären Promotionskollegs von LMU München und Universität Wrocław weiterzuentwickeln, sichtbarer zu machen und als Modell stärker zu profilieren. Ein erster Schritt in diese Richtung war der inhaltliche Abschluss des Workshops durch die Teilnahme an der Konferenz zum Thema „Polen in den US Wachkompanien in Baden Württemberg und Bayern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges“, die vom Generalkonsulat der Republik Polen in München veranstaltet wurde.
Das Thema „Politischer Totenkult“ gab folglich nicht nur zu inhaltlichen und methodisch gewinnbringenden Diskussionen Anlass. Vielmehr füllte die Art und Weise, wie dieser wissenschaftliche Austausch und die soziale Integration unter Promovierenden, Professoren und Kooperationspartnern des Promotionskollegs stattfanden, in ganz praktischer Hinsicht die deutsch-polnische Vernetzung mit Leben.


Bericht: Lukas Becht und Jakub Sawicki

Fotos: Ekaterina Keding

Programm

Der Workshop ist eine Kooperationsveranstaltung des Promotionskollegs und der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien.


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